Anschlussfähigkeit in Zeiten beschleunigter Transformation

4. April 2022 – Wie können wir die Berufsbildung in Zeiten beschleunigter Transformation nachhaltig gestalten? Auch wer Pferde mag, fährt heute ein Auto oder ein Elektrovelo. Und bald fahren Autos uns. Disruptive Innovationen stehen oft am Anfang tiefgreifender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen. Sie können das Ende bisher erfolgreicher Lösungen bedeuten und ebenso den Beginn einer neuen Ära, sofern ihnen der Übergang in eine evolutive, nachhaltige Transformation gelingt.

Dr. Barbara Fontanellaz
Dr. Barbara Fontanellaz, Direktorin EHB
SFUVET, Ben Zurbriggen

Bildung und insbesondere das System der Berufsbildung können und müssen einen Beitrag für diesen Übergang in eine nachhaltige Entwicklung leisten. Nach dem bahnbrechenden Paradigmawechsel, nach dem Unterbruch – was Disruption wörtlich bedeutet – gilt es den Anschluss zu beständiger, kontinuierlicher Verbesserung und Erneuerung zu finden. Dieser Herausforderung musste sich gerade die Berufsbildung bereits mehrmals stellen, sei es mit Bezug auf technologische Revolutionen in einzelnen Branchen, wie zum Beispiel der Druck- oder eben der Automobilbranche, sei es in Bezug auf übergreifende Transformationen wie die Digitalisierung. Diese Übergänge und Anschlüsse werden in erster Linie durch die Industrien und Branchen selbst erarbeitet und fliessen als neue Anforderungen in die Berufsbildung ein.

Der abrupte Übergang in den Fernunterricht mit dem Corona-Lockdown war ebenfalls eine Disruption in vielerlei Hinsicht. Die Verbundpartnerschaft hat diesen Wandel in sehr kurzer Zeit resorbiert. Seither sind Betriebe, Verbände und Schulen daran, die bald endlose Vielfalt an neuen Lösungen auf ihre längerfristige Eignung hin zu prüfen und weiterzuentwickeln, also überzuführen in einen reflektierten, nachhaltigen Einsatz. Andererseits setzten Vorreiter-Betriebe und -Schulen schon vor Corona neue pädagogische Settings um, die mittlerweile den Anschluss zu längerfristigen Lernkulturen finden (lesen Sie mehr dazu in unserer bevorstehenden «skilled»-Ausgabe).

Die Berufsbildung hat also aus verschiedenen Perspektiven schon heute einen Umgang mit den Phänomenen plötzlicher Veränderung. Man könnte überspitzt sagen, unser System der Berufsbildung sei zu diesem Zweck entwickelt worden, lange bevor Clayton Christensen 1997 seine These entwarf: um Disruptionen in der Wirtschaft mit Fachkräften zu bewältigen, die das Neue zeitgerecht meistern und fähig sind, es in eine dauerhafte Weiterentwicklung zu überführen.

Der Anspruch der Bildung und der Berufsbildung im Umgang mit solchen Transformationen ist aber umfassender. Ein kürzlich erschienenes Grundlagenpapier der Kammer der pädagogischen Hochschulen von swissuniversities formuliert Grundsätze und Leitvorstellungen für die Mitgestaltung von Schule und Lernen in einer Kultur der Digitalität. Die erste Leitvorstellung besagt, dass Mündigkeit und Teilhabe aller Lernenden die übergeordneten Bildungsziele bleiben.

Dies ist ein hoher, wichtiger und notwendiger Anspruch an die Mitgestaltungskraft von Bildung. Denn die Fähigkeit zu selbstbestimmtem und sozial verantwortlichem Handeln ist die erste Voraussetzung dafür, ein Leben lang mit dem Lernen von Neuem den Anschluss zu finden und zu erhalten.

Dr. Barbara Fontanellaz
Direktorin EHB