Der internationale Vergleich – schwierig, aber unerlässlich

Seit einigen Jahren steht die Berufsbildung immer wieder im Zentrum politischer und wissenschaftlicher Debatten, die international zu wirtschaftlichen, bildungspolitischen und sozialen Fragen geführt werden. Diese Debatten scheitern jedoch daran, dass die einzelnen Systeme sehr unterschiedlich sind und es schwierig ist, aussagekräftige Vergleiche zu erarbeiten. Dieser Artikel stellt vier aktuelle Ansätze für einen Vergleich vor.

«Die Berufsbildung ist von allen Bildungsbereichen gewiss der vielfältigste. Tatsächlich ist ihre Diversität in Sachen Zweck, Institutionen, Teilnehmende und Programme eines ihrer grundlegenden Merkmale.» Mit diesen Worten trifft Stephen Billet, einer der führenden internationalen Experten auf diesem Gebiet, den Kern der Sache: Die Berufsbildungssysteme sind äusserst heterogen, weitaus stärker als jene, die allgemeinbildendes Wissen vermitteln. Innerhalb der einzelnen nationalen Berufsbildungssysteme gibt es jeweils andere Organisationen, Angebote, Akteure, Positionierungen und teilweise deutlich andere Terminologien. Diese Diversität erschwert jeden Versuch, zwei oder mehr nationale Systeme miteinander zu vergleichen. Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt der Vergleich eine unverzichtbare Aufgabe, um nicht nur andere Modelle, sondern auch das eigene System besser kennenzulernen. Vergleiche ermöglichen es zudem, unterschiedliche Bildungsstrategien zu bewerten, erfolgreiche Konzepte aufzuzeigen und so Reformen anzustossen.

Der Komplexität zum Trotz mangelt es nicht an Versuchen, Vergleiche zu erarbeiten. In der aktuellen internationalen Debatte lassen sich die folgenden vier Ansätze unterscheiden.

1. Vergleiche einer begrenzten Anzahl Länder

rote Kugel

Etliche Vergleiche konzentrieren sich auf eine begrenzte Anzahl von Ländern und stellen beispielsweise das deutsche und das französische oder das deutsche und das englische System einander gegenüber, dies mit einem Fokus auf Begriffen wie «Beruf», «métier» oder «occupation». Diese Art des Vergleichs ermöglicht eine eingehende Beschreibung der Unterschiede zwischen den Ländern, ist aber aufgrund der kleinen Anzahl von Staaten nur begrenzt aussagekräftig. Auch führt sie häufig nicht zu allgemein festgelegten Kategorien, die auch für den Vergleich mit anderen Ländern verwendet werden könnten.

2. Vergleiche auf der Grundlage von statistischen Indikatoren

Grafik
SFUVET

Der zweite Ansatz vergleicht Länder anhand von statistischen Indikatoren. Dabei stützt man sich zum Beispiel auf Statistiken, wie sie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder vom Europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) erstellt werden. Diese Vergleiche sind zwar sehr nützlich, da sie auf der Grundlage weithin gültiger Indikatoren eine grosse Anzahl Länder berücksichtigen, allerdings sind die effektive Genauigkeit und Vergleichbarkeit der Daten oft problematisch. Denn erstens erfolgt der Vergleich häufig auf einer zu allgemeinen Ebene, und zweitens bilden die Kriterien, die herangezogen werden, um eine bestimmte Quote zu ermitteln, nicht immer die Realität in den einzelnen Ländern ab.

3. Vergleiche auf der Grundlage von Typologien

Geometrische Formen auf einer Wage

Ein typologischer Vergleich legt den Schwerpunkt auf eine begrenzte Anzahl von Kriterien. Zu den aktuell bekanntesten gehört der Ansatz von Wolfgang Greinert, der zwischen Ländern mit «etatistischer» Steuerung wie Frankreich, mit «liberaler» Steuerung wie England oder mit «kooperativer» Steuerung wie Deutschland unterscheidet.In einer ähnlichen Herangehensweise entwerfen Marius Busemeyer und Christine Trampusch eine auf den beiden Vergleichskriterien «unternehmerisches Engagement» und «staatliches Engagement» basierende Typologie. Diese unterscheidet insbesondere zwischen dem französischen Modell mit einem starken staatlichen und einem geringen unternehmerischen Engagement, dem amerikanischen Modell mit einem geringen staatlichen und unternehmerischen Engagement sowie dem deutschen und dem schweizerischen Modell mit einem starken staatlichen und unternehmerischen Engagement.

Diese Typologien sind sinnvolle Instrumente, um markante Aspekte des einen oder anderen Systems hervorzuheben. Die begrenzte Anzahl Kriterien schränkt jedoch die Aussagekraft ein und führt mitunter zu Vereinfachungen, die weder die möglichen Unterschiede zwischen den Ländern desselben Typs noch jene innerhalb dieser Länder widerspiegeln.

4. Vergleiche auf der Grundlage allgemeiner Rahmenkonzepte

Ein Drei-Perspektiven-Modell für die Berufsbildung

Solche Instrumente wurden in den letzten Jahrzehnten entwickelt, um Kooperationsprojekte zu begleiten und Massnahmen auf politischer Ebene im internationalen Kontext zu bewerten. Sie dienen in erster Linie dazu, ein Rahmenkonzept zu schaffen: Dieses soll anhand von potenziell auf jedes Land anwendbaren Kriterien sämtliche Schlüsselfaktoren erfassen, die zum reibungslosen Funktionieren eines Systems beitragen.

Das Cedefop hat insbesondere ein Modell entwickelt, das auf drei Perspektiven basiert: der sozioökonomischen, systemischen und pädagogischen. Diese sind wiederum in 17 Unteraspekte wie Governance, Finanzierung, Alter oder Lernorte gegliedert.

Solche Schemata bieten eine interessante Grundlage für den Vergleich unterschiedlicher Systeme. Allerdings ist ihre Anwendung nicht immer einfach, da je nach Land der eine oder andere Aspekt mehr oder weniger relevant sein mag oder in manchen Ländern als Bezugsgrösse sogar ganz fehlt.

  • Prof. Dr. Lorenzo Bonoli, Senior Researcher Forschungsfeld institutionelle Bedingungen der Berufsbildung und Studiengangleiter MSc in Berufsbildung und, EHB